Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Arbeitnehmer-Organisationen (ACA) Bayern

Der Landesausschuss der ACA Bayern hat eine Stellungnahme zu den Plänen von Bundesgesundheitsminister Spahn verabschiedet Soziale und gemeinsame Selbstverwaltung sind die tragenden Säulen der deutschen Sozialversicherung.


Die soziale Selbstverwaltung ist das Erfolgsmodell der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Ausgestaltung der sozialen Sicherung durch Vertreterinnen und Vertreter der Betroffenen sichert nicht nur die Vertretung und Einbeziehung von Interessen im Sozialstaat. Sie sorgt auch für eine patienten- und versichertenorientierte, praxisnahe sowie verantwortliche Gestaltung des Gesundheitswesens. Vertreterinnen und Vertreter der Beitragszahler, in Sozialwahlen gewählte Vertreterinnen und Vertreter der Versicherten und Arbeitgebern, treffen im Interessenausgleich eigenverantwortlich Entscheidungen über die Ausgestaltung der Gesundheitsversorgung im Rahmen allgemeiner Vorgaben des Gesetzgebers. Dabei bringen sie Qualität und Finanzierbarkeit der Versorgung in Einklang – ganz unabhängig von politischen Erwägungen und Konstellationen.
Die soziale Selbstverwaltung bildet die Grundlage für die gemeinsame Selbstverwaltung in der mit den Leistungserbringern versorgungsrelevante Entscheidungen getroffen werden. Bereits in den letzten Jahren wurde der Aufgabebereich der Selbstverwaltung durch gesetzgeberische
Entscheidungen sukzessive eingeschränkt. Die Aufsichten haben durch den Gesetzgeber neue Weisungs- und Kontrollrechte erhalten, mit denen sie den Gestaltungsraum sowohl der sozialen als auch der gemeinsamen Selbstverwaltung einschränken können. Zudem sind Eingriffe in die Personalverantwortung erfolgt, u.a. bei der Benennung der unparteiischen Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschuss sowie bei der Vertragsgestaltung für das Vorstandspersonal der Krankenkassen und beim GKV-Spitzenverband.
Notwendig waren diese Regelungen nicht, denn die soziale Selbstverwaltung der Krankenkassen und ihrer Verbände ist mit ihren Kompetenzen immer verantwortungsvoll umgegangen. Die soziale Selbstverwaltung wird dem ihr übertragenen gesetzlichen Auftrag gerecht und trägt zu einer qualitativ hochwertigen und sicheren gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung entschieden bei. Dennoch sind aktuell weitere tiefgreifende Einschnitte in den Aufgabenbereich der Selbstverwaltung vorgesehen. Mit dem vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Terminservice- und Versorgungsgesetz wird eine gravierende Umgestaltung der Gesellschafterstruktur der gematik (Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH) vorgenommen.
Mit der Übernahme von 51 Prozent der Gesellschafteranteile durch das Bundesministerium für
Gesundheit wird die gemeinsame Selbstverwaltung faktisch ausgeschaltet und die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkasse enteignet. Die gematik wird damit zu einer nachgeordneten Behörde. Die Finanzierung erfolgt aber weiterhin aus Mitteln der Beitragszahlenden. Dies ist aus Sicht der ACA Bayern nicht akzeptabel, wird entschieden abgelehnt und ist ordnungspolitisch falsch.
Finanzierungs- und Entscheidungskompetenzen müssen vielmehr in einer Hand liegen.
Bei der Methodenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss droht durch aktuelle
Eingriffe ein völliger Systembruch. Das Bundesministerium für Gesundheit plant, sich
gesetzgeberisch die Möglichkeit einräumen zu lassen, Untersuchungs- und Behandlungsmethoden durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates in den kollektiven Leistungskatalog aufzunehmen. Das Verfahren würde dann hochgradig anfällig für Entscheidungen nach politischer Opportunität und Klientelpolitik. Im Ergebnis können neue Leistungen unabhängig von Erkenntnissen der evidenzbasierten Medizin und ohne jegliche Nutzenbewertung in die Versorgung eingeführt werden. Die ACA Bayern wehrt sich entschieden dagegen, dass mit deren weitreichenden Änderungen die gemeinsame Selbstverwaltung ad absurdum geführt wird.
Auch bei der Verantwortung für die Haushalte der Krankenassen – einem Kernbereich der sozialen Selbstverwaltung – wurden zuletzt enge Vorgaben zum Abbau von Reserven getroffen. Aktuell zeichnet sich bereits eine weitere gesetzliche Regulierung ab. Nach den Plänen des Bundesministerium für Gesundheit soll der Entscheidungsraum der sozialen Selbstverwaltung über die Finanzreserven sowie zur Festlegung der Zusatzbeitragssatzes weiter eingeschränkt werden. Die Eingriffe in die Finanzplanung der Krankenkassen sind abzulehnen.
Geplant ist ein vollkommener Systemwandel für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Der MDK soll sich zukünftig eigenständig organisieren. Leistungserbringer, Berufsfunktionäre und Patientenvertreter sollen den zukünftigen Verwaltungsrat bilden. Mit dieser Neuausrichtung der Entscheidungsträger wird die Sozialpartnerschaft von Arbeitgebern und Versicherten zerstört.
Es entstehen massive Schieflagen in der Entscheidungsfindung, da Leistungsanbieter beteiligt
werden. Die gesamten Kosten tragen die Versicherten der Kranken- und Pflegekassen.
Am 9.7.2019 wurde der Kabinettsentwurf des MDK-Reformgesetzes in gesundheitspolitischen
Kreisen bekannt. Vorgesehen ist nun, dass das Bundeskabinett am 17.7.2019 über den Entwurf von Bundesgesundheitsminister Spahn berät. Gegenüber dem Referentenentwurf aus Mai 2019 haben sich im Bereich Reform der Medizinischen Dienste und im Bereich Krankenhausabrechnungsprüfung einige Änderungen ergeben.
Die vorgesehene zukünftige Selbstverwaltung soll jetzt mehrheitlich aus gewählte Vertretern der Krankenkassen besetzt werden. Diese Änderungen aufgrund der politischen Sensibilisierung durch Selbstverwalter der Versicherten und Arbeitgeber sind grundsätzlich zu begrüßen. Trotzdem sind die geplanten Eingriffe in die Selbstverwaltung nicht aufgehoben und es ist zu befürchten, dass dies nur ein Zwischenschritt auf dem Weg der weiteren Aushöhlung der sozialen Selbstverwaltung sein wird.
Die ACA Bayern fordert die politischen Entscheidungsträger auf, die im Koalitionsvertrag
vorgesehene Stärkung der Selbstverwaltung tatsächlich umzusetzen. Dazu gehört eine sachliche Auseinandersetzung darüber, wie eine sinnvolle Aufgabenteilung zwischen Staatsverwaltung einerseits und sozialer Selbstverwaltung andererseits aussehen soll. Die soziale wie die gemeinsame Selbstverwaltung brauchen ausreichende Gestaltungsspielräume, um die wichtigen Aufgaben umzusetzen.

17.07.2019